Spiel mit kulturellen Erwartungen: La Chola Poblete und die Nasca-Linien

Informationen

Standort Galerie 3
Künstlerin

La Chola Poblete

Titel

Medium Plot, Zeichnungen und Gemälde
Maße variabel
Copyright © La Chola Poblete
Kunstwerknummer AW305

Der Boden der Ausstellungshalle ist mit archaisch anmutenden Linienzeichnungen bedeckt. Sie erinnern an Höhlenmalereien oder Indigene Kunst, haben aber auch etwas sehr Gegenwärtiges als Graffiti, reduzierte Comicfiguren oder Logos. Ein riesiger Vogel ist zu erkennen, eine tanzende oder springende menschliche Gestalt, eine Figur aus ornamentalen Dreiecken und Vierecken. Und es gibt Formen, die offensichtlich aus dem heutigen Alltag stammen, die Ziffer Zwei in einer Art Fadenkreuz, ein Kreis, in dem eine Krone und abstrakte Formen zu sehen sind.

Inspiriert wurde diese Arbeit von den riesigen Zeichnungen, den sogenannten Nasca-Linien, die zwischen 800 v. Chr. und 450 n. Chr. von Menschenhand in den Boden der Nasca-Wüste im Süden Perus gescharrt wurden. Die Linien sind in der Regel 10 bis 15 cm tief. Die meisten verlaufen geradlinig durch die weite Landschaft, aber es gibt auch figürliche Darstellungen von Tieren und Pflanzen. Mehr als siebzig der Zeichnungen sind zoomorph, darunter ein Kolibri, eine Spinne, ein Fisch, ein Kondor, ein Reiher, ein Affe, eine Eidechse, ein Hund, eine Katze und ein Mensch. Die größten von ihnen sind bis zu 370 Meter lang. Die Wissenschaft ist sich bis heute nicht einig, was der Auslöser für die Zeichnungen war.

Die Vermutungen reichen von Bewässerungssystemen bis hin zu astrologischen Markierungen, allgemein geht man von einer religiösen Bedeutung aus. Das Erstaunliche an diesen Bodenzeichnungen ist, dass sie so groß sind, dass die Motive und Muster am besten aus der Luft in einer Höhe von etwa 500 Metern zu erfassen sind. Die erste schriftliche Erwähnung in der europäischen Welt stammt von dem spanischen Conquistador und Historiker Pedro Cieza de León (1520–1554), der sie in seiner Crónica del Perú (Geschichte Perus) 1553 als „Wegmarkierungen“ beschreibt. Wegen seiner kritischen Darstellung der Gräueltaten bei der Eroberung und Verwaltung des Landes blieb sein Werk danach für drei Jahrhunderte ungedruckt. Im Bewusstsein der „Eroberer“ und Kolonialmächte gerieten die Nasca-Linien in Vergessenheit.

Obwohl die Linien teilweise von nahen gelegenen Hügeln aus zu sehen sind, wurden sie erst wieder wahrgenommen, als der Flugverkehr über der Nasca-Wüste in den 1920er-Jahren aufgenommen wurde. 1926 beschrieb dann der peruanische Archäologe Toribio Mejía Xesspe die Linien, die er bei Wanderungen entdeckt hatte. Der amerikanische Historischer Paul Kosok wollte in Peru seine Annahme, es seien antike Bewässerungssysteme überprüfen und stellte dann fest, dass es sich um astronomische Markierungen handeln müsse, da die Linien zur Wintersonnenwende auf der Südhalbkugel am Horizont zusammenliefen. Eine eindeutige Erklärung der Nasca-Linien ist jedoch nie gelungen. Weltberühmt wurden sie durch die These des Schweizer Autors und UFO-Forschers Erich von Däniken, der 1969 in seinem Bestseller Erinnerungen an die Zukunft „antike Astronauten“ als ihre Schöpfer beschrieb. Diese Theorie wurde Anfang der 2000er-Jahre von Joe Nickell, einem amerikanischen Kunsthistoriker, der paranormale Phänomene untersucht, widerlegt, als er belegen konnte, dass die Linien von kleinen Gruppen mit einfachsten Mitteln innerhalb kurzer Zeit hergestellt wurden. Über hundert weitere Zeichnungen sind bis heute durch den Einsatz von Drohnen und künstlicher Intelligenz entdeckt worden.

Die Betrachter*innen werden von La Chola Poblete in eine Position versetzt, als würden sie aus großer Höhe über eine Landschaft fliegen und – ähnlich wie in der Nasca-Wüste – Formen entdecken und Bedeutungen auf sie projizieren. Sie zeigt nicht nur die Ähnlichkeit mit Symbolen aus der heutigen Massen- und Popkultur, sondern stellt auch die Frage: Wie würde man heutige lateinamerikanische oder Indigene Kulturen aus einer solchen Perspektive beurteilen? Sie bezieht sich auf diese Kulturen, spielt aber auch, wie in ihren Tapeten und Bannern, mit den Erwartungen, die auf sie als Indigene Künstlerin projiziert werden. So ähnelt die menschliche Figur auf dem Boden auch den entfesselten nichtbinären Gestalten auf den Wandtapeten, die durchaus auf einem Rave tanzen könnten. Den eigentlich rassistischen und klischeehaften Vorstellungen von Ursprünglichkeit, Naturverbundenheit, Tradition und Spiritualität, die auch im Kunstbetrieb oft noch mit Indigener Kultur assoziiert werden, setzt sie einen hybriden Kulturbegriff entgegen: „Ich betrachte den Ausstellungsraum wie ein Blatt Papier, auf dem die Symbole der Anden, aber auch die Ikonen von Rockbands oder Markenlogos nebeneinander bestehen können.“

 

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