Ein surrealer und grausamer Anblick: Aus dem aufgeschnittenen Bauch von La Cholas liegender Venus ragen verschiedene Gefäße, dort wo die inneren Organe und die Gebärmutter liegen sollten. Die Skulptur bezieht sich auf ein Phänomen, das zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Europa aufkam. Da menschliche Präparate in der Anatomie aus ethischen und praktischen Gründen nicht verwendet werden konnten, entstanden lebensgroße, weibliche Wachsfiguren mit Echthaar, die aufgeklappt und in Einzelteile zerlegt werden konnten. Die Organe einer solchen „Anatomischen Venus“ waren detailgetreu nachgebildet und herausnehmbar. Meistens war sie „schwanger“, in ihrem Inneren verbarg sich ein winziger Fötus, um auch die menschliche Fortpflanzung und die weibliche Anatomie zu veranschaulichen.
Diese Puppen waren häufig kunstvoll und erotisch wie gemalte Akte gestaltet. Und sie dienten nicht nur als Anschauungsobjekte im medizinischen Kontext, sie wurden auch auf Jahrmärkten und in Wunderkammern präsentiert, wo sie aufgrund ihrer Schönheit ein großes Publikum anzogen. Damit war die anatomische Venus das erste wissenschaftliche Medium, das für alle Klassen zugänglich war. Die letzte dieser Puppen wurde in den 1930er-Jahren in Deutschland gefertigt.
La Cholas Skulptur thematisiert beide Aspekte dieser Figuren – die medizinische Aufklärung und die Objektivierung des weiblichen Körpers, der aber hier dem Voyeurismus ausgeliefert wird. Die Weiblichkeit wird von Männern unter die Lupe genommen und in all ihren Formen analysiert. Und das Aufschlitzen, das Öffnen des Körpers zeugt auch von Gewalt. Im Zentrum der Schönheit liegt das Versehrte. Doch nicht nur darum geht es La Chola: „Ich denke über das Entstehen neuer Weiblichkeiten nach und darüber, wie die Fortpflanzung aussehen könnte. Warum nicht ein Gefäß im Mutterleib tragen?“ Gefäße spielen in Ritualen eine Rolle, hier stehen sie auch in Bezug zur künstlichen Fortpflanzung mithilfe von Retorten. Schon in den 1970er-Jahren träumten radikale Feministinnen davon, dass Technologien der Zukunft den Frauen die biologische Schwangerschaft abnehmen könnten, in der sie die Ursache von Unterdrückung und Benachteiligung ihres Geschlechts erkannt hatten. Inzwischen ist die In-vitro-Schwangerschaft in greifbare Nähe gerückt. Doch die Utopien haben sich auch durch die Genforschung verändert. Es geht jetzt um multiple Elternschaft, neue nicht-heteronormative Formen des Zusammenlebens und Alternativen zur traditionellen Kleinfamilie. Mit ihren künstlichen Organen verkörpert La Cholas Venus zugleich einen neuen, fluiden Menschen, dem das biologische Geschlecht nicht mehr die grundlegende Bedeutung für sein Leben zuschreibt.
Informationen
La Chola Poblete
Venus, marrona rajada, 2023
(Venus, braun gebrannt)
Ein surrealer und grausamer Anblick: Aus dem aufgeschnittenen Bauch von La Cholas liegender Venus ragen verschiedene Gefäße, dort wo die inneren Organe und die Gebärmutter liegen sollten. Die Skulptur bezieht sich auf ein Phänomen, das zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert in Europa aufkam. Da menschliche Präparate in der Anatomie aus ethischen und praktischen Gründen nicht verwendet werden konnten, entstanden lebensgroße, weibliche Wachsfiguren mit Echthaar, die aufgeklappt und in Einzelteile zerlegt werden konnten. Die Organe einer solchen „Anatomischen Venus“ waren detailgetreu nachgebildet und herausnehmbar. Meistens war sie „schwanger“, in ihrem Inneren verbarg sich ein winziger Fötus, um auch die menschliche Fortpflanzung und die weibliche Anatomie zu veranschaulichen.
Diese Puppen waren häufig kunstvoll und erotisch wie gemalte Akte gestaltet. Und sie dienten nicht nur als Anschauungsobjekte im medizinischen Kontext, sie wurden auch auf Jahrmärkten und in Wunderkammern präsentiert, wo sie aufgrund ihrer Schönheit ein großes Publikum anzogen. Damit war die anatomische Venus das erste wissenschaftliche Medium, das für alle Klassen zugänglich war. Die letzte dieser Puppen wurde in den 1930er-Jahren in Deutschland gefertigt.
La Cholas Skulptur thematisiert beide Aspekte dieser Figuren – die medizinische Aufklärung und die Objektivierung des weiblichen Körpers, der aber hier dem Voyeurismus ausgeliefert wird. Die Weiblichkeit wird von Männern unter die Lupe genommen und in all ihren Formen analysiert. Und das Aufschlitzen, das Öffnen des Körpers zeugt auch von Gewalt. Im Zentrum der Schönheit liegt das Versehrte. Doch nicht nur darum geht es La Chola: „Ich denke über das Entstehen neuer Weiblichkeiten nach und darüber, wie die Fortpflanzung aussehen könnte. Warum nicht ein Gefäß im Mutterleib tragen?“ Gefäße spielen in Ritualen eine Rolle, hier stehen sie auch in Bezug zur künstlichen Fortpflanzung mithilfe von Retorten. Schon in den 1970er-Jahren träumten radikale Feministinnen davon, dass Technologien der Zukunft den Frauen die biologische Schwangerschaft abnehmen könnten, in der sie die Ursache von Unterdrückung und Benachteiligung ihres Geschlechts erkannt hatten. Inzwischen ist die In-vitro-Schwangerschaft in greifbare Nähe gerückt. Doch die Utopien haben sich auch durch die Genforschung verändert. Es geht jetzt um multiple Elternschaft, neue nicht-heteronormative Formen des Zusammenlebens und Alternativen zur traditionellen Kleinfamilie. Mit ihren künstlichen Organen verkörpert La Cholas Venus zugleich einen neuen, fluiden Menschen, dem das biologische Geschlecht nicht mehr die grundlegende Bedeutung für sein Leben zuschreibt.
Weitere Werke aus dieser Ausstellung
La Chola Poblete: Guaymallén
Pop-Ikone, heilige Jungfrau, Pachamama: La Cholas Vírgenes- Aquarelle
Hardrock, Rolinga, Ballroom: La Chola Pobletes Banner-Installation
Materialität, Metaphern und Gegensätze
Mythen und Madonnen: Inszenierte Fotografien
Spiel mit kulturellen Erwartungen: La Chola Poblete und die Nasca-Linien
Venus papas lays, 2023
Die gestreifte Säule: Eine Hommage an Freddi Mamani Silvestres neoandinen Architekturstil